Catenaccio in der Europapolitik

Im Fussball spricht man vom Catenaccio, wenn sich eine Mannschaft auf das Abschotten des eigenen Tores konzentriert und sich weigert, konstruktiv mitzuspielen. Übertragen auf die Europapolitik kennen wir diese Taktik seit langem von der SVP - und neuerdings auch von den Gewerkschaften.

Die Ausgangslage stellt sich für die Schweiz eigentlich positiv dar, denn Staatssekretär Balzaretti konnte der EU in den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen bereits wichtige Zugeständnisse abgewinnen. Schwierige Fragen wie der Geltungsbereich des Abkommens, die Streitbeilegung (Schiedsgericht) oder die Kontrollen sind im Grundsatz gelöst. In all diesen Bereichen ist die EU der Schweiz entgegengekommen. Wo wir uns aber bewegen müssen, ist bei der Umsetzung der Flankierenden Massnahmen (FlaM). Worum geht es? Für die FDP war stets klar, dass Marktzugang zwar die Grundlage unseres Wohlstandes ist, wir dies aber umgekehrt nicht mit einer Angleichung unserer Löhne an das tiefere EU-Niveau bezahlen. Es stellt daher auch niemand den Lohnschutz an sich in Frage – nicht mal die EU selbst.

Das Problem liegt also nicht beim Ziel sondern bei der Umsetzung der FlaM. Stein des Anstosses ist die 8-Tage Voranmeldefrist für Entsandte aus der EU. Sie erlaubt es den Sozialpartnern in der Schweiz Kontrollen durchzuführen – diskriminiert dabei aber die Arbeiter und Selbstständigen aus der EU, die auf neue Auftragslagen oder Krankheit bei der Belegschaft nicht schnell genug reagieren können.

Spielraum und damit Verhandlungsmasse gäbe es sehr wohl. Erstens beim Vorgehen. Betroffen von Lohndumping sind in erster Linie Branchen wie das Bau- und Gastgewerbe. Ergo könnten Kontrollen hier fokussiert werden und die Hürden in anderen Branchen gesenkt werden. Möglich wäre auch, mit abschreckenden Bussen zu arbeiten, wo es weniger Kontrollen gibt. Zweitens lässt die Effizienz zu wünschen übrig. Heute meldet sich der Entsandte aus der EU beim Bund, dieser leitet die Anfrage zweimal täglich an die Kantone weiter, welche dann die Kontrolleure informieren, nachdem klar ist, wer überhaupt zuständig ist, denn dies ist wieder von Branche zu Branche verschieden. All das kann dauern: im Kanton Bern zum Beispiel überbringt ein Velokurrier die Gesuche – aber nur zweimal pro Woche. Man muss schon sehr staatsgläubisch und unflexibel sein, um im digitalen 21. Jahrhundert kein Verbesserungspotential zu erkennen.

Genau hier setzten aber die Gewerkschaften zum Catenaccio an. Für sie steht nicht das Ziel – das Lohnniveau und der Marktzugang – im Vordergrund. Vielmehr erklären sie die 8-Tage Regel selbst zur roten Linie und verweigern sich damit der konstruktiven Lösungsfindung.

 

Autor: Roger Kölbener, Präsident FDP International